Henri Michaux
Nur wenige Jahre nachdem Mário de Andrade in die Amazonas-Regionen gereist war, zog es auch einen bis dahin unbekannten Autor aus Belgien nach Lateinamerika. Im dritten Kapitel meiner Studie zur Poetik des Kolibris wende ich mich Henri Michaux zu, der bis heute von der Forschung als ein großer literarischer Außenseiter stilisiert wird. Wie bei Mário de Andrade wurde auch die Reise von Henri Michaux gesponsert. In Paris hatte er den reichen ecuadorianischen Autoren Alfredo Gangotena kennengelernt, der ihn daraufhin zu einem Aufenthalt in seine Heimat einlud. Als gescheiterter Medizinstudent registrierte sich Henri Michaux als Matrose, nach seiner ersten großen Reise nach Lateinamerika sollten noch viele weitere – etwa nach Asien – folgen, die Henri Michaux auch in seiner Prosa umfassend darstellte.
Dieses dritte Kapitel meiner Studie stellt in vielerlei Hinsicht die Kontrastfolie zu den lateinamerikanischen Reisenden Gabriela Mistral und Mário de Andrade dar. Henri Michaux interessiert sich in keiner Art und Weise für das Wissen über den Kontinent, sein literarisches Projekt ist viel eher der Verunsicherung von Wissen und Gewissheiten gewidmet. Doch auch dieses Vorhaben ist im Widerspruch zur Tradition des europäischen Reiseberichts zu sehen, der die Texte, für die ich mich interessiere, in vielfacher Hinsicht ohnehin widerstreben.
In meinen Lektüren orientiere ich mich an Henri Michaux als experimentellem Autor. Das Experimentieren ist das zentrale Verfahren, das meine Lektüren leitet und auch in der Forschung bereits als eine wichtige Kategorie des vielseitigen Werks von Henri Michaux – der sowohl Autor wie Maler war und vor allem für seine Selbstversuche mit Meskalin bekannt ist – herausgearbeitet wurde.
Die Spuren von Henri Michaux’ Reise nach Ecuador sind weniger gut nachvollziehbar; anders als bei Gabriela Mistral und Mário de Andrade fehlt die präzise Dokumentation. Doch in seinem Reisetagebuch Ecuador, das im Jahre 1929 bei Gallimard veröffentlicht wurde, zeigt sich, dass Lateinamerika auch für den französisch-belgischen Avantgardisten zu einem Laboratorium werden sollte.
Vor allem die animalischen Erfahrungswelten seiner Reisen ziehen den Schriftsteller an und prägen auch meine Lektüren, in denen ich mit dem Instrumentarium der Animal Studies seine Mikro-Narrationen und Mikro-Experimente deute.
Links und Ressourcen zu Henri Michaux
Buch Poetik des Kolibris
Lateinamerikanische Reiseprosa bei Gabriela Mistral, Mário de Andrade und Henri Michaux. Buch kostenlos erhältlich als PDF-Datei (open access)
Archiv Henri Michaux
Offizielle Website, die über die neuesten Publikationen und Veranstaltungen zu Henri Michaux und Archivbestände informiert.
Forme brève, visualité et récit de voyage dans Ecuador d'Henri Michaux
Mein Vortrag im Rahmen des Konferenz zu klenen Formen an der Universität Paris-Nanterre.